Mit Freude darf ich Euch darauf hinweisen, dass mein erstes (und bisher einziges) Theaterstück „Die Argonauten“ freundlicherweise vom Rabenhof-Theater Wien online gestellt wurde. Wenn Ihr nicht ins Theater könnt, dann kommt eben das Theater zu Euch!
Vielleicht kurz ein paar Worte zum Stück:
Dieses ganze Projekt begann 2013, und zwar wie viele gute Projekte zu später Stunde an einer Schank: der des Rabenhof-Theaters. Ich hatte mir ein Stück angesehen und kam weit nach Vorstellungsende mit dem Regisseur, Roman Freigaßner, ins Plaudern. Er erzählte mir von seiner Idee, den antiken Mythos der Argonauten für ein jüngeres Publikum ab elf Jahren auf die Bühne zu bringen. Ich erzählte ihm, dass ich Altphilologin sei und mich in diesem Mythos sehr gut auskenne. Gegen fünf Uhr Früh und einige Weißweinflaschen später beschlossen wir zusammenzuarbeiten.
Es folgte eine der intensivsten und wunderbarsten Zeiten meines Lebens. Roman Freigaßner versammelte ein kongeniales Team aus großartigen SchauspielerInnen auf und MitarbeiterInnen hinter der Bühne. Ich schrieb insgesamt elf Fassungen dieses Stücks, weil alle Mitwirkenden fortwährend herrliche Ideen einbrachten, sich mit ihren Figuren in einer Weise auseinandersetzten, die ich unbedingt im Text abbilden wollte, oder durch sonstige Ideen der Gestaltung neue Ebenen entwickelten, die ich als extreme Bereicherung empfand.
Und ja, natürlich schrieen wir uns auch an, natürlich wurde geflucht, geheult und sehr viel Weißwein vernichtet, aber am Ende entwickelten sich Freundschaften für’s Leben und ein Stück, auf das ich bis heute sehr stolz bin, dank Menschen, die ich bis heute extrem bewundere. Die meisten TheaterautorInnen schreiben ihre Stücke am Schreibtisch, übergeben sie ans Theater und ziehen sich danach zurück. Ich habe damals entschieden, dass für mich dieser Ansatz nicht der richtige ist, sondern dass mein Schreiben elementar in Zusammenarbeit mit allen anderen Mitwirkenden stehen muss. Denn das war für mich der interessante und schöne Unterschied zum Romanschreiben. Bei letzterem würde ich mir niemals von irgendjemandem reinreden oder Inputs geben lassen. Für das Theater fand ich aber genau das Gegenteil reizvoll. Und das hat sich, meines Erachtens, gelohnt.
Eine Sache, die jedoch rein am Schreibtisch passierte, war die Bearbeitung des Mythos. Ich habe Altgriechisch und Latein studiert, das heißt mich über Jahre hinweg mit antiken Bearbeitungen von Mythen auseinandergesetzt, doch dieses Stück war das erste Mal, dass ich mich selbst an einen Mythos gewagt habe.
Was man nie vergessen darf: Mythen sind nicht in Stein gemeißelt. Auch von der Argonauten-Sage gab es in der Antike verschiedene Versionen, verschiedene Interpretationen. Jeder und jede, der und die einen Mythos bearbeitet, muss selbst die Balance zwischen Erbe und Weiterentwicklung finden. Richtig oder falsch gibt es dabei nicht, nur mehr oder weniger gelungene Versionen.
In meiner Interpretation geht es im Argonauten-Mythos um Macht, um Freundschaft und um das Akzeptieren derjenigen, die anders sind. Vor allem aber darum, was Macht mit Menschen macht. Das fand ich vor allem vor dem Hintergrund, das unser Publikum elf Jahre oder etwas älter sein würde, reizvoll. Weil das Bewusstsein, dass uns Macht immer verändert, wichtig für das Verständnis der Welt ist.
Noch ein paar Worte zur Argonauten-Sage:
Sie ist ein sehr alter Mythos, der wie alle alten Mythen tief im kollektiven Gedächtnis der Menschen in der Antike verankert war. Mit anderen Worten: In der Antike wusste jedes Kind, wer die Argonauten waren. Mythen haben meist nie wirklich einen Anfang oder ein Ende, zu jeder Geschichte gibt es Vorgeschichten und Folgegeschichten. Und weil sie eben Teil des kollektiven Gedächtnisses war, taucht sie immer wieder auf. Zum Beispiel spricht Kirke in der Odyssee mit Odysseus darüber, wie die Argonauten durch ein Hindernis segelten, da auch ihm eine ähnliche Herausforderung bevorstand. Wie gesagt: Der Mythos war allseits bekannt.
Kurz zum Inhalt:
In Iolkos in Thessalien hat der schamlose Pelias die Königsmacht von seinem Bruder Aison ergriffen, obwohl dessen Sohn Iason der rechtmäßige Herrscher wäre. Pelias herrscht brutal über das Volk, fürchtet sich aber vor einem Orakelspruch, der besagt, dass seine Herrschaft von einem Einschuhigen bedroht sei.
Eines Tages trifft Iason beim Spazierengehen eine alte Frau, die in Wahrheit die Göttin Hera ist. Sie bittet ihn, sie durch einen reißenden Bach zu tragen, weil sie dem Strom nicht statthalten könne. Iason hilft ihr, doch dabei bleibt einer seiner Sandalen im Sand stecken und wird davongetrieben.
Als Iason mit nur einem Schuh zurück in den Palast kommt, erzittert Pelias: das Orakel!
Pelias greift also zu einer List: Er verspricht Iason, ihm die Herrschaft über Thessalien zu übergeben, wenn sich dieser der Herrschaft reif erweise, indem er das berühmte Goldene Vlies nach Iolkos bringe.
(Und hier z.B. gibt es eine Vorgeschichte zur eigentlichen Argonauten-Geschichte: Es war nämlich einst in Böotien ein König namens Athamas, der hatte eine liebe Frau namens Nephele und zwei Zwillinge, Phrixos und Helle. Nephele jedoch verstarb, und so heiratete Athamas wieder. Doch die neue Frau namens Ino war böse und neidzerfressen und hasste die Kinder Phrixos und Helle. Ino griff zu einer bösen List und röstete das Saatgut, das die Bauern Böotiens vom Palast zur Anbau bekamen. Geröstetes Saatgut kann bekanntlich nicht austreiben. Die Bauern wandten sich also an ein Orakel um Hilfe, doch die böse Ino bestach diejenigen, die zum Orakel gesandt wurden, auf dass sie als Botschaft zurückbrächten: Erst, wenn der Sohn Phrixos geopfert wurde, würde wieder Saatgut in Böotien austreiben. Schweren Herzens beschloss König Athamas, seinen Sohn zu opfern, doch die tote Mutter Nephele schickte einen fliegenden Widder namens Chrysomeles, der Phrixos und seine Schwester Helle auf seinen Rücken steigen ließ und die beiden davonfliegend rettete. Helle jedoch wird auf dem Flug neugierig und hält sich nicht an das oberste Gebot, bloß nicht nach unten zu schauen, woraufhin ihr schwindelig wird und sie ins Meer stürzt. Bis heute ist die Stelle, an der sie umkam, nach ihr benannt: der Hellespont (Pontos = das Meer, also Meer der Helle). Phrixos wird von Chrysomeles nach Kolchis gebracht, an das damalige Ende der Welt. Dort wird er vom König der Kolcher aufgenommen. Phrixos opfert zum Dank an die Götter den Widder Chrysomeles und hängt dessen goldenes Fell, das Vlies, im Hain des Ares auf, wo es seither von einem niemals schlafenden Drachen bewacht wird.)
Man sieht schon: Ein von einem Drachen bewachtes goldenes Vlies vom Ende der Welt zu holen, ist keine leichte Aufgabe. Viele haben das versucht, alle sind dabei umgekommen. Und in der Hoffnung, dass Iason dieses Schicksal ebenfalls ereile, schickt ihn Pelias also fort.
Iason braucht zunächst ein Schiff und bittet den Schiffbaumeister Argos, ihm ein Schiff für fünfzig Ruderer zu bauen: die Argo. Als Besatzung versammelt Iason die damals berühmtesten Helden Griechenlands (sozusagen eine Generation vor den Trojanischen Helden). Mit an Bord sind so klingende Namen wie Theseus, Orpheus, Peleus, Meleager, Herakles und auch Nestor, der damals ein junger starker Mann ist und später in der Ilias als alter weiser Greis auftauchen wird.
Wie schon erwähnt: Kolchis war aus antiker Perspektive das Ende der Welt. Dort lebten „Barbaren“, also Nicht-Griechisch-Sprachige (das Wort barbaros ist Lautmalerisch für die seltsamen nicht griechischen Worte, die sie äußerten), und um dorthin zu kommen, müssen Iasons fünfzig Helden einige Abenteuer bestehen: Sie besuchen Iasons alten Erzieher, werden an die Illyrische Küste verschlagen, gelangen von dort nach Lemnos, wo nur Frauen wohnen, weil alle Männer wegen Untreue ermordet wurden. Wie man sich unschwer vorstellen kann, braucht es einige Anstrengung durch Herakles, um die Helden zur Weiterfahrt zu bewegen ;)
Sie müssen mit einem sechsarmigen Monster kämpfen, auf Kios vergessen sie Herakles, der seinen von einer Nymphe entführten Freund Hylas suchen wollte, in Bithynien müssen sie gegen einen brutalen König im Faustkampf gewinnen, an der thrakischen Küste lauern Harpyien, die einen armen Greis quälen, indem sie entweder sein Essen stehlen oder darauf gacken. Der Greis gibt ihnen schließlich einen wichtigen Rat, wie sie durch die Symplegaden segeln können – das sind Felsen, die sich aufeinander zubewegen und alle, die durchsegeln wollen, zerquetschen. Sie treffen zudem freundliche Völker, aber auch die stymphalischen Vögel, deren Federn aus Eisen sind und von ihnen als Pfeile eingesetzt werden. Nahe des Kaukasus hören sie auch das Stöhnen des Prometheus sowie den Adler, der auf ewig von seiner Leber frisst.
Und irgendwann erreichen sie schließlich den Hain des Ares.
Zuerst versuchen sie es mit Diplomatie und fordern von König Aietes, dem Herrscher der Kolcher, das Vlies. Dieser jedoch will es nicht einfach so hergeben und verspricht es Iason, wenn dieser zuvor mit feuerschnaubenden Stieren ein Feld pflüge und darauf Drachenzähne säe.
Bevor Iason jedoch zu dieser menschenunmöglichen Aufgabe antritt, lernt er Medeia kennen, die wunderschöne Tochter des Königs. Medeia verliebt sich in Iason, und da sie eine Zauberin ist, verfügt sie über Möglichkeiten, um Iason zu helfen, indem sie ihn mit einer feuerfesten Salbe einreibt und ihm verrät, dass aus den von ihm zu sähenden Drachenzähnen Krieger wachsen werden, die sich gegen ihn wenden werden, und die zwar stark, aber nicht schlau sind, und die er austricksen kann, indem er sie dazu bringt, aufeinander loszugehen.
Dank Medeia schafft es Iason, die ihm gestellten Aufgaben zu bewältigen. Doch Aietes will ihm das Vlies nicht geben, sondern plant, die griechischen Helden in der Nacht niedermetzeln zu lassen. Medeia jedoch verrät Iason den Plan und hilft ihm, das Vlies heimlich zu stehlen. Allerdings unter einer Bedingung: dass er sie mitnimmt und heiratet.
Ab dieser Stelle gibt es nun unzählige verschiedene Versionen davon, wie sie wieder nachhause kommen und was dann zuhause passiert.
Vielleicht nur so viel: Die Geschichte von Iason und Medeia wird höchst tragisch enden. Doch das ist wieder eine andere Geschichte, die ich Euch ein andermal erzählen möchte.
Die berühmteste antike Bearbeitung der Argonauten-Sage stammt von Apollonios von Rhodos, der im 3. Jhdt v. Chr., also rund ein halbes Jahrtausend nach Homer versucht hat, ein echtes Epos zu schreiben. Der lateinische Dichter Valerius Flaccus hat ebenfalls ein Heldengedicht über die Argonauten geschrieben, und eine ausführliche Version gibt es von Pindar. In der Bibliothek des Apollodor, einer Sammlung von Mythen, wird die Geschichte genauso erzählt wie von Ovid in den Metamorphosen. Und berühmt sind natürlich auch die Versionen der Tragiker: Euripides „Medea“, Senecas „Medea“, und und und … Wie gesagt: die Argonauten-Sage war in der Antike allbekannt.
Und falls Ihr Euch nun ansehen wollt, was wir daraus gemacht haben, hier geht’s zum Stück:
https://youtu.be/b8Q-abJG-sY
An dieser Stelle nochmals DANKE an das Rabenhof-Theater, das uns diesen Link schenkt. Und danke an die großartigen Argonauten auf und hinter der Bühne, es war mir ein Volksfest!
Vea Kaiser wurde 1988 geboren und lebt in Wien. 2012 veröffentlichte sie ihren ersten Roman Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam, … weiterlesen
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